Digitalisierung für den Katalog-Versandhandel
Serie Markt-Trends 2018
„Das Internet revolutioniert den Handel!“ „Online läuft dem stationären Geschäft zunehmend den Rang ab!“ So oder ähnlich klingt in der Branche jede zweite Headline.
Das sieht nach Komplettaustausch, radikalem Bruch und Umwälzung aus. Und legt eine einfache Schlussfolgerung nah: Print, insbesondere Kataloge, und stationäre Ladengeschäfte kommen aus früheren Zeiten und sind heute überholt. Online ist der neue, einzig zeitgemäße Kanal.
Kann es so einfach sein? Eine Analyse zur Situation des klassischen Versandhandels.
Tatsächlich kauft ein jährlich wachsender Prozentsatz der Konsumenten online ein. (>>Statista, >>Bitkom)
Auch stimmt es, dass große Online-Player – allen voran Amazon – für neue Kräfteverhältnisse am Markt gesorgt haben. Mit ihnen können sich inzwischen nur noch reformierte Handelsunternehmen messen. (Porträt World-of-Sweets-Gründer Markus Heide >>Handelsblatt). Wer traditionell nur auf das Ladengeschäft oder den Papier-Katalog setzt, hat es schwer.
Diese Entwicklung bedeutet aber nicht automatisch, dass die ‚guten alten‘ Kanäle gar keinen Platz mehr im Business und Konsumentenalltag hätten. Das stationäre Potential etwa lotet nicht nur der Plattform-Gigant Amazon aus („Amazon goes offline“ >>Spiegel). Auch ehemals klassische Pureplayer machen stationär ernst („Was planen notebooksbilliger.de und Medimax?“ >>Channelpartner).
Die Rolle und Wertschätzung der lang etablierten Kanäle haben sich deutlich verschoben. Aber die Digitalisierung als die Geschichte einer Verdrängung durch Online zu lesen, greift zu kurz. Omnichannel bedeutet eben auch, dass der Webshop allein nicht genug ist.
Commerce für Mensch oder Maschine
In den nächsten Jahren wachsen zwei Trends sehr stark, deren Ausprägung unterschiedlicher nicht sein könnten.
Im Industrie- und Fertigungsumfeld stehen die nächsten Jahre im Zeichen intelligenter Commerce-Automatisierung im Rahmen von Industrie 4.0-Installationen und direktem Machine-to-Machine-Commerce.
Hier sind Schnittstellen, Integration und Selbst-Optimierung entscheidend. User-Interfaces werden im Prozess nicht mehr gebraucht.
Andererseits werden aber immer dann, wenn Menschen die Kaufentscheidungen treffen (B2B oder B2C), die humanen Bedürfnisse nach Emotion, Entertainment und Convenience und damit Content und Frontend-Design zum entscheidenden Erfolgsfaktor.
Die Wünsche der Konsumenten gilt es zu bedienen, wenn das Offering nicht am Markt vorbeigehen soll.
Eine alte Challenge: zu Hause einkaufen
Ein Dauerbrenner unter den Wünschen ist, die Kaufentscheidung im selbst gewählten Umfeld zu treffen.
Kunden möchten nicht an einem bestimmten Ort (im Ladengeschäft), sondern in Ruhe zu Hause Vergleiche ziehen, Details unter die Lupe nehmen, andere Meinungen einholen, und sich unterhalten oder inspirieren lassen.
Sie wollen zu einer selbstgewählten Zeit (unabhängig von Öffnungszeiten) sofort Entscheidungen treffen und Services in Lieferung und Kommunikation in Anspruch nehmen. (>>Bitkom)
Diese Wünsche sind nicht erst mit der Jahrtausendwende und dem Onlinehandel aufgekommen, sondern waren schon gut 100 Jahre zuvor Motivation und Erfolgsfaktor für den Distanzhandel. Die Praxis von zu Hause oder vom Schreibtisch aus zu kaufen, ist älter als Smartphone und Computer, und wurde lange mit dem Print-Katalog realisiert.
Ziel der klassischen Versand-Händler war es schon immer Bedarf zu wecken, zu unterhalten, zu stöbern (“browsen“), spontane Kaufentscheidungen zu triggern, mit Exklusivangeboten zu locken und mit personalisierter Angebotserstellung und direkten Kontaktmöglichkeiten Kunden zu binden.
Diese Situation ändert sich nicht wesentlich, sondern spitzt sich zu, wenn der Kunde plötzlich Alexa in der Küche stehen hat. Wer zwischen Kaffeekochen und Frühstück Batterien nachbestellt, will sofort zum Ziel kommen. Wer Inspiration sucht, möchte nicht mit einem „buy now“-Button abgefertigt werden. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, kauft man woanders. Der Konsument wird kompromissloser.
Katalog-Versandhandel: 100 Jahre Menschenkenntnis
Als der Handel über das Internet Aufwind bekam, hatten Katalog-Versandhändler einen beträchtlichen Vorsprung. Was sich die neu startenden Online-Händler erst erarbeiten mussten, war ihr täglich Brot:
tiefe Produktkenntnis, intensive Kundenbeziehung und das Angebot aus einer Hand – von Medium (Druckerzeugnis) über Logistik bis zum Kundenservice.
Die Risiken, die mit hohen Investitionen im Lager sowie hochpreisigen Werbe- und Verkaufsmittel einhergingen, waren enorm. Aber das Geschäft lohnte sich, weil es aus dem Handwerk und der Erfahrung berechenbar war.
Überholt vom kleinen Bruder E-Commerce
Online war plötzlich „in“, aber wie schnell sich der Markt wandeln würde, hatte niemand erwartet. In nur 12 Jahren verschoben sich die Bestellwege von 80% Katalog zu 80% online und führte in den 2000er Jahren unter anderem zu den historischen Insolvenzen von Neckermann und Quelle.
Während im Jahr 2007 bei 27,6 Mrd. Euro Gesamtumsatz immerhin noch gut 60% über die klassischen Bestellwege (Katalog, Fax) umgesetzt wurde, waren es 2016 mit 4,38 Mrd. Euro nicht mal mehr 10%.
Online hatte den klassischen Bestellkanälen nicht nur große Anteile abgenommen, sondern war zudem auch noch mit Rekordzahlen gewachsen.
Versand-Größen auf der Gewinnerseite
Der Schock saß tief, nicht nur in der Versandhandelsbranche selbst. Auch heute noch beobachten andere Wirtschaftsbereiche (siehe aktuell den Druck auf den Industrie-Mittelstand) mit Sorge die unbarmherzigen Konsequenzen von verpatzter Digitalisierung am Beispiel Handel.
Dennoch gibt es unter den klassischen Versandhändlern auch Gewinner der Digitalisierung. Und zwar immer dann, wenn ein Unternehmen es verstanden hat, sein Geschäftsmodell neu zu erfinden und nicht einfach versuchte, einen Katalog ins Netz zu stellen.
Etwa Otto, Tchibo oder Klingel haben sich mit einem Fokus aus Omnichannel, Services, Internationalisierung oder Ventures neu ausgerichtet.
Das gelang mit einer großen Bereitschaft sich zu wandeln und alles auf den Kopf zu stellen – aber eben auch durch ein Verdichten und Übertragen der eigenen jahrzehntelangen Handelserfahrung.
Das stationäre Geschäft ist nicht am Ende; und auch der Katalog ist nicht am Ende. Aber: das Geschäft der klassischen Katalog-Versandhändler steht unter hohem Druck sich zu transformieren. Ein Katalog im Stil der 80er/90er Jahre wird heute nicht mehr bestehen können. Das Medium muss auf ein neues Level gehoben werden; und zwar ohne dass Branchenkenntnis und Wissen über Kundenverhalten verloren geht.
Einige Erfolgsbeispiele:
„User Experience“, „mobile first“, „Connected Commerce“ all diese Schlagworte erfolgreicher Commerce-Konzepte sind kein Selbstzweck. Sie sind das nötige Handwerkszeug für eine zeitgemäße Form und dienen einzig dem Ziel, den Kunden besser zu erreichen und zu bedienen. Aber die Inhalte und personalisierten Angebote, mit denen der Kunde gefesselt, unterhalten, fasziniert werden kann – dieses Wissen muss nach wie vor aus den Unternehmen selbst kommen.
Perspektiven für den Katalog-Versandhandel
Heute gibt es 4K Spezialversender mit Print-Katalogen allein in Deutschland, Österreich, Schweiz.
Heute, das heißt „immer noch“; nach einer Markt-Bereinigung und unter massivem Druck von Online-Pure-Playern oder Generalisten und internationalen Plattformen mit Dumping-Preisen.
Viele sind bereits mitten im Changeprozess getrieben durch die neuen Anforderungen und Erwartungen und Bedürfnisse im Zuge der Digitalisierung. Anderen steht dies noch bevor.
In einer klassischen SWOT-Analyse zur Potential- und Strategiefindung sind die Stärken (Strengths) ud Schwächen (Weaknesses) im Herzen des Unternehmens zu finden und hochindividuell. Hingegen die Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) sind marktgetrieben und somit innerhalb einer Branche ein Stück weit gleich. Zwei Bereiche, bei denen es sich für den Katalog-Versandhandel lohnt, genauer hinzuschauen.
Zu den Chancen zählt auf jeden Fall, dass die Katalog-Versender für einen Omnichannel-Ansatz bessere Voraussetzungen mitbringen als Online-Pure Player, von denen 90% kurz- bis mittelfristig wieder verschwinden (aktuelle Erhebung des IFH Köln).
Gerade hinsichtlich des Printkanals haben Katalog-Versender einen Vorsprung, denn es auszunutzen gilt. Wenn etwa Startups sehr ernsthaft den Weg in Richtung Publishing und Print einschlagen (>>Tagesspiegel übernimmt Vertrieb für das Glossybox Magazin) sollte sich dieser Bereich für Print-erfahrene Katalog-Versandhändler umso mehr anbieten.
Auf der Risiken-Seite müssen bei der Digitalisierung die Abhängigkeiten überschaubar bleiben.
Sei es, dass man Amazons Einfluss auf das eigene Geschäft reduzieren will – aber eben auch nicht völlig darauf verzichten kann.
Sei es, dass man selbst zum Dreh- und Angelpunkt eines vernetzten Geschäftsmodells werden möchte und sich mit einer mehrstufigen Plattform, Community-Services und Vermittler-Strukturen anpasst und neu erfindet. Für beides ist vor allem eines essentiell: den direkten Zugang zum Kunden aufzubauen und zu halten.
Fazit
Mit der richtigen Strategie und Technologie sind Katalog-Versandhändler in einer guten Position, die Chancen der Digitalisierung für sich zu nutzen. Immerhin haben sie das Shopping von der Couch erfunden!
Sie sind Versandhändler und haben Fragen zur Digitalisierung? Sie interessieren sich für unsere Referenzen?
>>Sprechen Sie uns an!
–Photo Credits: Death to Stock, Refe, Pixabay oder wie genannt.–